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Digitale Inklusion: “Barrierefreiheit gleich mitdenken”

clint-patterson-knxuAKpRoxs-unsplashKleine Schrift, unklare Anweisungen oder komplizierte Sprache - auch im Digitalen gibt es Barrieren, die den Zugang aller zu bestimmten Diensten oder Webseiten beschränken. Wie digitale Teilhabe gelingen kann und welche Verantwortung Kirchen bei diesem Thema haben, das haben wir mit Prof. Dr. Benjamin Tannert vom Institut für digitale Teilhabe in Bremen besprochen. 

(Foto: Clint Patterson)

Benjamin Tannert ist Professor an der Hochschule Bremen und Leiter des  2020 neu gegründeten Instituts für digitale Teilhabe. 

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Projekte nicht für, sondern mit Menschen mit Einschränkungen 

Herr Tannert, was machen Sie genau am Institut für digitale Teilhabe?

Tannert: Das Institut für digitale Teilhabe soll durch Forschung und Projekte die Barrierefreiheit von digitalen Angeboten unterstützen, um sie so auch für Menschen mit verschiedenen Einschränkungen zugänglich zu machen. Für die Neuschaffung unseres Instituts gab es zwei Ansporne: Zum einen wird oft nur für Menschen mit Einschränkungen entwickelt, aber selten geschieht das mit ihnen zusammen. Dabei sind sie doch die Experten, die verstehen, was genau sie brauchen. Zweitens gab es oft Forschungsprojekte, die gute Ergebnisse hervorbrachten, dann aber in der Schublade landeten und nie wieder angeschaut wurden. Das wollten wir ändern und haben das Institut gegründet. 

Wie definieren Sie selbst Teilhabe oder Inklusion? 

Tannert: Wir heißen Institut für digitale Teilhabe, weil dieser Begriff noch mehr fassen kann als der Begriff der Inklusion. Es geht dabei ja nicht unbedingt nur darum, Menschen mit Behinderungen Zugang in den digitalen Alltag, also z.B. zu Webseiten zu ermöglichen. Es geht um alle möglichen Arten der Zugangsbeschränkungen im Digitalen wie ein anderer kultureller Hintergrund oder altersbedingte Einschränkungen. 

Optionen öffnen und verschiedene Zugänge ermöglichen 

Wenn wir mal das Beispiel einer Webseite nehmen: Ist es  angesichts der verschiedenen Einschränkungen, die Sie aufgezählt haben, überhaupt möglich, auf alle Bedürfnisse einzugehen?

Tannert: Es gibt ganz verschiedene Arten von Zugangsbeschränkungen und es stimmt, manche von diesen stehen sich auch konträr gegenüber. Zum Beispiel ist ein Leitsystem für Blinde im Straßenverkehr wichtig, für Rollstuhlfahrer wie mich eher unangenehm. Im Digitalen gilt das genauso. 

Und wie ist es dann möglich, eine barrierefreie Website zu erstellen, wenn sich manche Anforderungen auch widersprechen? 

Tannert: Der beste Weg ist oft darin zu finden, dass mit Optionen gearbeitet wird. Dann gibt es keine feste Startseite mehr, sondern z.B. der Text oder der Kontrast können je nach Bedarf angepasst werden.  

Digitalisierung kann Barrieren abbauen, aber auch neue schaffen

Glauben Sie, dass die Digitalisierung die Chance auf größere Teilhabe für mehr Menschen birgt?

Tannert: Für einige Menschen ist die Digitalisierung auf jeden Fall eine große Chance, wenn sie entsprechende Tools auch nutzen können. Derzeit wird ja viel mit Videotelefonie gearbeitet, was auch mobilitätseingeschränkten Menschen vermehrt die Teilnahme ermöglicht. Es ist aber wichtig, diese Tools auch nutzbar zu machen und keine neuen Barrieren zu schaffen. Ich habe kürzlich ein Beispiel erlebt: Bei einer Diskussion auf Zoom konnten die Teilnehmer anschließend Fragen in den Chat stellen. Andere Möglichkeiten für die Fragen gab es nicht. Für die teilnehmenden blinden Personen war das natürlich von Nachteil, weil es ihnen nur schwer möglich war in den Chat zu finden bzw. Etwas hinein zu schreiben. Deswegen müssen auch die digitalen Tools selbst barrierefrei konzipiert werden.

Sind in Deutschland allgemein barrierefreie Webseiten der Standard oder eher die Ausnahme? 

Tannert: In Deutschland gibt es die Gesetzgebung im Rahmen der EU-Richtlinie zur Barrierefreiheit von Webseiten und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen (Richtlinie 2016/2102), die besagt, dass zumindest öffentliche Verwaltungen Ihre Angebote barrierefrei gestalten müssen. Zudem kommt auch das Onlinezugangsgesetz, dass Länder und Kommunen bis Ende 2022 dazu verpflichtet, ihre Verwaltungsleistungen über Verwaltungsportale digital anzubieten. Das heißt, dass es schon Gesetzgebungen gibt, die in die richtige Richtung gehen, aber in der konkreten Umsetzung überfordert das viele öffentliche Einrichtungen. 

Webseiten von Anfang an barrierefrei denken

Und auf den Webseiten nicht-öffentlicher Einrichtungen: Gibt es da beim alltäglichen Surfen im Internet noch viele Zugangsbeschränkungen?

Tannert: Das kommt ganz darauf an. Große Firmen und Seiten sind da eher hinterher, aber ob eine Webseite am Schluss barrierefrei ist oder nicht, hängt oft von den einzelnen Programmierern und Entwicklerinnen ab. Von diesen sind viele überfordert, wenn sie Programme im Nachhinein an die Barrierefreiheit anpassen wollen, wenn diese im Vorhinein nicht dafür konzipiert wurden. Es kostet dann oft sehr viel Arbeitszeit und andere Ressourcen, wovor viele zurückschrecken und sich auf das Nötigste beschränken.  

Auf das Nötigste wäre in diesem Fall…? 

Tannert: Zum Beispiel sich auf eine Einschränkung zu beschränken. Also die Webseite für Blinde barrierefrei zu machen, die anderen Interessen wie Gehörlosigkeit, kognitive Einschränkungen etc. aber außer Acht zu lassen. 

Also geht es darum, gleich zu Beginn Webseiten barrierefrei zu denken? 

Tannert: Genau, das ist das, was wir mit unserem Institut anstoßen wollen. Dass bei neuen Entwicklungen gleich die Barrierefreiheit mitgedacht wird. So spart man sich viel Aufwand und Zeit. 

Digitale Teilhabe gehört zum Verantwortungsbereich der Kirche

Wie steht die Kirche in Sachen der digitalen Teilhabe da? 

Tannert: Ich selbst bin kein Kirchenexperte, aber prinzipiell lässt es sich sicher sagen,  dass gerade Kirchen Interesse daran haben könnten, ihre zukünftigen, aber auch Ihre bereits bestehenden Inhalte barrierefrei zu gestalten. Sie haben einfach eine sehr große und auch diverse Zielgruppe, in der sicherlich verschiedene Einschränkungen vorherrschen. 

…und da geht es ja auch ein Stück weit um religiöse Teilhabe.

Tannert: Exakt! Deswegen sehe ich dort auf jeden Fall Handlungsbedarf.

Kleine Schritte und ein neues Mindset

Wenn nun eine Kirchengemeinde ganz neu sich mit barrierefreien Webseiten auseinandersetzt, was können da erste Schritte sein? 

Tannert: Wenn Gemeinden anfangen, sich mit der Barrierefreiheit ihrer Webseiten zu beschäftigen, ist das ein wichtiger Schritt. Viele wollen gar nicht erst beginnen, da sie glauben, dass es zu aufwendig ist. Doch jeder Punkt, der da angegangen wird, ist schon ein Gewinn. Da reicht es dann, dass die Schriftgröße und der Kontrast geändert werden können oder Alternativtexte für Bilder eingefügt werden. Diese können von Screenreader im Falle eines Bildes vorgelesen werden und schon ist es für ältere und seheingeschränkte Menschen leichter. Zudem internalisiert man ein Verständnis für diese Anpassungen und denkt diese dann beim nächsten Mal gleich automatisch mit. 

Eine letzte Frage. Was kann getan werden, damit digitale Teilhabe nicht zu einem “wischi-waschi”-Begriff wird, der viel benutzt, aber kaum umgesetzt wird? 

Tannert: Um digitale Teilhabe zu erreichen, muss ein Umdenken passieren. Wir müssen davon weg, dass Barrierefreiheit immer nur hinterher angepasst wird, sondern müssen sie von Anfang an mitdenken. Wir versuchen das auch in unseren Lehrveranstaltungen weiterzugeben, indem wir den zukünftigen IT-lern Werkzeuge und Sensibilität mitgeben. Inwiefern dann die Politik sich einmischen kann in die nicht-öffentlichen Webseiten, das ist dann eine andere Frage. 

Anmerkung der Redaktion: Mehr Informationen dazu, wie Sie Ihre ChurchDesk-Webseite barrierefrei gestalten können, finden Sie hier. 

Topics: digitale Kirche

Alissa Kim Neu
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