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"270.000 Kirchenaustritte sind Feedback mit den Füßen"

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Wenn Menschen aus der Kirche austreten, sagen sie damit, dass Kirche keine Relevanz mehr für sie hat. Doch wie können es Kirchen denn schaffen, nah am Menschen zu bleiben? Indem sie ihnen zuhören, sagt Heiko Kienbaum von Kirchenfeedback.de.

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Heiko Kienbaum studierte Theologie und Psychologie und arbeitet neben seiner Arbeit für Kirchenfeedback.de und den gemeinnützigen Verein Kirche 4.0 als als Autor und Trainer für Persönlichkeitsentwicklung und studiert derzeit an der CVJM Hochschule Transformationsstudien, Öffentliche Theologie und Soziale Arbeit. 

Erfahrungen aus der Geschäftswelt für eine gelingende Kirche

Kirchenfeedback.de gibt es seit ungefähr eineinhalb  Jahren. Wie kamt ihr auf die Idee, einen solchen Verein zu gründen? 

Heiko Kienbaum: Die Idee entstand in der Zeit mitten im ersten Lockdown, also einer Zeit, in der es eigentlich sehr wenig Kontakte gab. Ich hatte gerade mein Amt als Pastor einer Freikirche niedergelegt und im Leitungsteam kam die Frage auf, was uns im ersten Lockdown geholfen hätte und wie wir die Erfahrungen der letzten Jahre besser nutzen könnten. So saßen wir zusammen - eine bunte Truppe aus Personalern, Unternehmensberatern, einem Juristen und mir. 

Also einer Gruppe, die viel Erfahrungen in der klassischen Geschäftswelt hat… 

Heiko Kienbaum: Genau, und wir haben uns überlegt, dass heutzutage niemand in einem Unternehmen auch nicht mit einem Non-Profit-Verein arbeiten würde, ohne regelmäßig Feedback von seinen Kunden einzuholen. Kirche aber macht das bis jetzt kaum. 

Was ist das Hauptanliegen von Kirchenfeedback.de? 

Heiko Kienbaum: Wir waren uns einig, dass viele Gemeinden, ob Landes- oder Freikirche, grundsätzlich ihr Bestes geben und sich wünschen, dass ihre Kirche Relevanz für die Menschen hat. Das Problem was sie verbindet ist, dass sie sich in einer Blase befinden. Sie erzählen sich gegenseitig, wie das Geschäft funktioniert, ohne mit denen zu sprechen, die den Laden sozusagen nicht mehr betreten. Das möchten wir mit Kirchenfeedback.de ändern. 

Offenere Strukturen in Gemeinden 

Gibt es denn nicht schon solche Feedback-Strukturen in manchen Gemeinden? 

Heiko Kienbaum: Wir haben sehr lange recherchiert, um Gemeinden in Deutschland zu finden, die Feedback irgendwie produktiv einsetzen, aber waren nicht sehr erfolgreich. Die eine oder andere Kirche startet mal eine Umfrage oder erwähnt eine Feedbackmöglichkeit per Mail. Aber solche Rückmeldungen sind dann nicht anonymisiert und können nur schwer ausgewertet werden. 

Deshalb habt ihr Kirchenfeedback.de gegründet?

Heiko Kienbaum: Genau, viele Kirchen fummeln einfach so vor sich rum und arbeite sich an sich selbst ab. Das hat auch Auswirkungen da auch manche Ehrenamtliche manchmal fast an den Strukturen der Entscheidungswege verzweifeln. Zudem werden immer mehr Stellen abgebaut, aber wir brauchen doch Tools um beim Menschen zu bleiben. 

Wir wollen eine Möglichkeit bieten, am Menschen zu bleiben, indem wir es ermöglichen, von oben nach unten und von unten nach oben zu Feedbacken - und zwar anonym, konstruktiv und 24/7. 

Wie sieht dann das Feedback konkret aus?

Heiko Kienbaum: In unserer Basisfrage geht es um acht Bereiche, die Menschen in Multiple-Choice-Fragen bewerten können - das ganze geht nur fünf Minuten.

Mehr Relevanz für Kirchen durch Mitspracherecht 

Können nur Gemeinden gefeedbackt werden, die auch teilnehmen? 

Heiko Kienbaum: Nein, man kann bei uns jeder Gemeinde in Deutschland Feedback geben, denn ein Restaurant muss man ja auch nicht erst fragen, bevor man ihm Feedback gibt. Wir sammeln dann das Feedback und sobald wir eine gewisse Anzahl an Rückmeldungen haben, bereiten wir das auf und gehen damit auf Kirchen zu. 

Also bleibt das Feedback erst einmal intern? 

Heiko Kienbaum: Wir suchen zunächst den Kontakt mit der Gemeindeleitung, darüber hinaus schreiben wir aber auch kurze Berichte über die Stimmung die wir in den Kirchen gefeedbackt bekommen. Aber wir stellen, niemanden an den Pranger.

Also glaubst du, dass die Kirche wieder mehr Relevanz erlangen könnte, wenn sie nur einmal beginnt, Feedback einzuholen?  

Heiko Kienbaum: Viele Kirchengemeinden sagen, dass sie kein Feedback brauchen. Doch allein letztes Jahr sind 270.000 Menschen aus Kirche ausgetreten, das ist doch Feedback! Sie sagen damit, dass das Angebot für sie nicht mehr relevant ist und gehen zum Amtsgericht oder zur örtlichen Gemeinde und treten aus - das ist Abstimmung mit den Füßen. Laut Freiburger Studien wird sich das sogar noch einmal verschärfen und die Kirche wird bis 2060 noch mehr an Relevanz verlieren. Wenn Leute aber erst einmal ausgetreten sind, dann ist oft zu spät es zu spät, sie mit Feedback und veränderten Strukturen zu erreichen. Unsere Chance mit Ihnen in den konstruktiven Austausch zu treten besteht aber eher solange sie noch Teil der (Frei)-Kirche sind.

Besonders die Landeskirchen füchten sich vor Bedeutungsverlust 

Redest du jetzt von einer bestimmten Denomination? 

Heiko Kienbaum: Die Angst vor Relevanzverlust ist natürlich besonders groß in den Landeskirchen, aber auch in den Freikirchen besteht kein sehr großer Andrang. Ich weiß selbst von Gesprächen mit der Vertreterin einer großen Landeskirche, die sagte, dass sie Angst vor Kirchenfeedback.de, also Angst vor dem Verlust der Deutungshoheit hätte. Das da nun jemand von außen komme und einfach frage sei fast frech. Doch wir fragen nur, weil die großen Kirchen das eben selbst nicht tun. 

Die steigende Zahl an Kirchenaustritten ist sicherlich von keinem Pfarrer unbemerkt geblieben. Wird darauf genug reagiert? 

Heiko Kienbaum: Nein, denn mit diesem “Feedback mit den Füßen” wird nicht konstruktiv umgegangen. Wenn nämlich jemand aus der Kirche austritt, weiß ich ja nicht, warum er das tut, wenn ich ihn dann nur noch einmal kurz frage warum. Dann kommen zwar so Antworten wie "Kirchensteuer einsparen" oder Ähnliches. aber solche allgemeinen Erkundigungen zu diesem Zeitpunkt sind dann oft nur die Spitze des Eisbergs und bilden die Relevanzstrukturen nicht genug ab. 

Für viele hat die Kirche ihre Relevanz verloren, aber im Inneren der Kirche glauben die Pfarrer immer noch genau zu wissen, was die Menschen brauchen, ohne sie danach fragen zu müssen: Also den Glauben oder Jesus Christus. Aber vielleicht suchen sie nach etwas ganz anderem… 

Feedback verändert die Kirche 

Aber dann müssten sie halt nicht in die Kirche, oder? Sie ist ja kein beliebiges Unternehmen und steht im Spannungsverhältnis von Relevanz für die Gläubigen aber beruft sich natürlich auch auf bestimmte Glaubenslehren und Dogmen, die nicht einfach abgeändert werden können wegen Feedback...

Heiko Kienbaum: Bei diesem Punkt bin ich da sehr biblisch basiert und die Strukturen zählen nicht so viel für mich. Ich schaue mir einfach Jesus an, wie er mit Feedback umgegangen ist. Er war viel unterwegs und hatte eine sehr gute Kommunikationsfähigkeit. Sagen wir mal, das wurde ihm in die Wiege gelegt.. Wenn dann Menschen nicht mit allem einverstanden waren, was er gesagt hat, konnten sie auf ihn zukommen und er nahm sich die Zeit, erklärte seinen Standpunkt, nutzte dafür oft Bilder. Nicht mit dem Ziel, dass am Schluss alle der gleichen Meinung sind, aber er ließ sich immer auf die Fragen und Zweifel der anderen ein. Das ist für mich typisch Jesus und davon finde ich in der Kirche nicht genug.  

Aber gibt es nicht einige Kirchen, die stark auf den Zeitgeist reagieren und sich so auch in ihrer Lehre ziemlich öffnen? 

Heiko Kienbaum: Also die Landeskirchen auf der einen Seite verweichen ihre Dogmen sehr, um Menschen zu erreichen. Es gibt dort fast nichts, was nicht möglich wäre, und trotzdem gehen die Menschen weg. Auf der anderen Seite stehen die Freikirchen, die auf der anderen Seite vom Pferd fallen und sagen: Hier ist unser Dogma, friss oder stirb. Auch sie erleben keinen großen Zustrom. Und was auffällt, viele Feedbacks beschäftigenn sich damit, das Meschen, die Strukturen, inbesondere Entscheidungen nicht nachvollziehen können, und vordergründig die Freikirchen zeitgemäß erscheinen, aber "innen" noch unzeitgemäßere Strukturen haben, als vgl. die verfasste Kirche.

Ein ganz neuer Kommunikationskanal für digitale Kirche

Ist das nicht verständlich, dass viele Kirche vor Feedback zurückschrecken? Man muss da ja nur an die ausartenden Kommentarfunktionen in den sozialen Medien denken … 

Heiko Kienbaum: Die Psychologie hat herausgefunden, dass vor allem öffentlich teilbares Feedback zu solchen Hasskommentaren einlädt. Sobald die Kommentare nicht mehr angezeigt werden und niemand ein Like oder ein Dislike mehr dazu geben kann, verliert es an Attraktivität. Anfangs hatten wir auch Sorge und fürchteten böses Feedback, doch das Gegenteil ist der Fall und das geäußerte Feedback ist oftmals sehr konkret. 

Doch wie ist das, wenn Menschen ihr Feedback äußern. Sie sehen ja dann keine direkten Auswirkungen, wenn es nicht veröffentlicht wird?

Heiko Kienbaum: Wir versuchen immer transparent zu sein, und den Leuten klar zu sagen, dass wir schon einiges Feedback brauchen, bevor wir auf eine Gemeinde zugehen. Bis jetzt geben wir den Menschen auch kein Rückfeedback, ob ihre Kirche prinzipielle für Vorschläge ist oder nicht, da wir nicht so viel Druck aufbauen wollen. Diese Struktur werden wir aber noch dieses Jahr ändern und teilen Feedbackstimmen von Kirchen, die bereits ihre Strukturen entsprechend angepasst haben. 

Die Digitalisierung bestärkt den Rückkanal in der Kommunikation. Ist die Ursprungsidee von Kirchenfeedback also verankert in der nun mehrdimensionalen Art von Kommunikation?  

Heiko Kienbaum: Durch die Coronapandemie hat die Digitalisierung schon einen Schub bekommen. Doch ist es auch schwierig zu sagen, inwiefern Prozesse die jetzt geschehen wirklich zur Digitalisierung gehören oder inwiefern es sich bei ihnen nur um eine Art Schablone handelt, die jetzt über vieles gelegt wird, was man Digitalisierung nennt. Also den Gottesdienst zu streamen ist jetzt keine wirklich tiefgreifende Konsequenz der Digitalisierung. 

Sondern?

Heiko Kienbaum: Es geht bei der digitalen Kirche darum, ob die Gemeindelandschaft in ein anderes Arbeitsmodell kommen kann: mit Partizipation, Teilhabe, Integration und einer Kirche, die versteht, dass sie wieder näher beim Menschen sein muss. 

Wir sind durch die digitalen Strukturen so sehr gewöhnt, miteinander zu reden und uns zu reiben. Deswegen funktionieren auch soziale Plattformen so gut, weil wir den Austausch suchen. Kirchen sollten dies den Menschen bieten, also Einbeziehung und Partizipation mit digitalen, zeitgemäßen Mitteln. Kirche nur "frisch" anzupinseln, Lobpreis und Liturgie zu verändern ist noch keine neue Kirchenform. Transformation ist mehr, als den Gottesdienst zu streamen. Wir müssen uns vielmehr fragen, wie kann in im Wandel unserer Gesellschaft, Reich Gottes im Gesamtem neu erfahrbar und erlebbar werden. Und da kann Digitalisierund und Feedback ein wertvoller Schlüssel sein.

Topics: Gemeindemanagement, digitale Kirche

Alissa Kim Neu
Alissa Kim Neu
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