Für Christian Bauer, Theologieprofessor in Innsbruck, ist nur eine "Kirche 4.0" ein zukunftsfähiges und evangeliumsnahes Modell der katholischen Kirche. Was das bedeutet und warum deshalb kein Weg am synodalen Weg vorbeiführt, erklärt er im Interview.
Dr. Christian Bauer ist Universitätsprofessor für Pastoraltheologie und Homiletik an der Universität Innsbruck.
Herr Bauer, Sie haben die Entwicklung des Internets in einem Vortrag mit der Entwicklung der katholischen Kirche verglichen. Vom Ersten Vatikanischen Konzil bzw. dem Web 1.0 zum Zweiten Vatikanum, das wie das Web 2.0 mehr Beteiligung zuließ. Dem Web 3.0 entsprechen selbststeuernde Systeme, die es heute auch in der Kirche gibt – was zu Konflikten führt, die auf dem synodalen Weg, den die katholische Kirche in Deutschland derzeit beschreitet, zu einer Kirche nach dem Vorbild des Web 4.0 führen können. Das ist ein interessanter Vergleich...
Christian Bauer: Kirche 4.0 als offen vernetzte Entgrenzung ist nur eine Metapher, eine Art kreatives Weiterdenken. Obwohl es nicht 1:1 übertragbar ist, lässt sich doch einiges davon lernen, denn wie das Internet, so entwickelt sich auch die Kirche stetig weiter. Der Anspruch an das Netz ändert sich permanent und es gibt den Wunsch, aktiv mitbestimmende:r anstatt nur passiv konsumierende:r User:in zu sein. Da sind die Interaktionen in den sozialen Medien ein gutes Beispiel.
Und diesen neuen Anspruch sehen wir auch in der Kirche?
Christian Bauer: Ja, es sind in den letzten Jahren zahlreiche kollaborative Digitalräume entstanden, neue Gruppen haben sich zusammengeschlossen und auch auf den sozialen Netzwerken bieten viele katholische Institutionen inzwischen Raum für Interaktion und Partizipation.
Was macht aber den Unterschied dann noch zum synodalen Weg aus, als Entwicklungsstufe 4.0?
Christian Bauer: Es handelt sich bei der bisherigen digitalen Öffnung der Kirche nur um eine sektorielle Vorfelderschließung, denn mit einem Kardinal wird auf den sozialen Medien selten diskutiert. Diese begrenzte Öffnung reicht aber nicht mehr aus, da sie den Binnenbereich der kirchlichen Macht nicht antastet. Hier würde eine partizipative Citizen Theology weiterbringen, wie sie von jungen Leuten gerade im evangelischen Raum vorgedacht wird.
In die Zeit des Internets 2.0 wird auch die Entstehung der großen Tech-Giganten eingeordnet, die heute für ihre Machtstellung kritisiert werden. Ist die klerikale Macht innerhalb der Kirche ein vergleichbares Phänomen?
Christian Bauer: Wenn man die Allmacht von Google mit der berechtigten Kritik an der Allmacht des geweihten Amtes in der Kirche parallel liest, dann hat auch diese einen bestimmten Entstehungspunkt. Genau gesagt, die Wende vom zweiten zum dritten Jahrhundert, als es nicht nur zu einer Sazerdotalisierung, sondern auch zu einer Klerikalisierung des kirchlichen Amtes kam. Doch diese alten Formen klerikaler Macht zerbrechen gerade an den Erfahrungen der Missbrauchskrise.
Heißt kritisieren auch entmachten?
Christian Bauer: Das Ambivalente an Machtkritik ist, dass auch sie Teil des kritisierten Machtraums ist. So ist z. B. ein Facebookpost, auf dem ich die Macht der Tech-Giganten kritisiere, immer noch ein Teil dieses Raums. So ist auch der synodale Weg Teil des innerkirchlichen Machtraums und will von dorther Veränderungen bringen.
In Ihrem Vortrag betonten Sie, dass kein Weg am synodalen Weg vorbeiführen wird. Warum nicht?
Christian Bauer: Die Sozialform von Kirche, wie wir sie seit Generationen kennen, ist am Ende. Die Entscheidungsfrage ist nun: Klerikalismus oder Synodalität? Wollen wir ein klerikaler Machtverein bleiben, der nur wenig mit der Realität zu tun hat? Oder werden wir eine synodale Weggemeinschaft, die sich auf Augenhöhe begegnet?
Das hört sich alternativlos an, aber gibt es nicht auch genug berechtigte Kritik am synodalen Weg?
Christian Bauer: Ich sehe auch einiges kritisch daran, aber welche Alternative gibt es denn? Es ist seit langem der erste ernsthafte Versuch der katholischen Kirche in Deutschland, im Geist des Evangeliums umzukehren und sich zu ändern.
Ist die katholische Kirche dann überhaupt noch katholisch, wenn sie sich für Änderungen öffnet und Dinge zur Diskussion stellt?
Christian Bauer: Im Adjektiv ‚katholisch’ speichern sich viele Zuschreibungen. Das zeigt die Geschichte, die hinter uns liegt. Der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass katholisch immer auch etwas ganz anderes bedeuten kann. Im Übrigen sagte der im Vatikan zuständige Kardinal Grech kürzlich, dass man sich in Rom mit Blick auf den deutschen Synodalen Weg keine Sorgen mache.
Der Weg zur Ökumene würde jedenfalls damit geöffnet werden, oder?
Christian Bauer: Natürlich, denn der Weg der Synodalität ist Papst Franziskus nicht nur ein gemeinsamer Weg der Katholik:innen. Es ist auch der Weg der anderen christlichen Konfessionen und selbst aller Menschen guten Willens, die sich nicht dem christlichen Glauben zuordnen.
Breiter Konsens, aber nicht alle ausnahmslos mitnehmen
Der synodale Weg ist ein auf das deutsche Sprachgebiet begrenztes Phänomen. Ist es realistisch, dass er überhaupt weltweite Auswirkungen haben wird?
Christian Bauer: Ich bin auf lange Sicht optimistisch, denn die Themen, die im deutschsprachigen Raum verhandelt werden, wie die Machtfrage, die Stellung der Frau und die kirchliche Sexualmoral, sind Themen, die auch in anderen Teilen der Welt diskutiert werden.
Der Synodale Weg hat auch Kritiker, Entscheidungen sind nur schwer zu finden. Wie kann sichergestellt werden, dass alle auf diesem Weg gemeinsam gehen?
Christian Bauer: Leider ist es unmöglich, alle mitzunehmen, aber man muss es versuchen. Neutral formuliert würde ich sagen, dass ein innerkirchlicher Differenzierungsprozess auf uns zukommt. Wie auch bei technischen Innovationen gibt es Menschen, die sich – z. T. ja auch mit guten Gründen – vor Neuem fürchten. Da braucht es viel Einfühlungsvermögen, aber das kommt bei hartgesottenen Rechtskatholik:innen an seine Grenzen.
Das ist zwar richtig, aber trotzdem ist es doch wichtig, dass zumindest alle Flügel mitgenommen werden, um eine Vielfalt an Meinungen auch in die synodale Kirche zu integrieren.
Christian Bauer: Auf allen Seiten gibt es gesprächsbereite Menschen, aber auch extreme Gruppierungen, mit denen man einfach nicht mehr reden kann. Der Versuch muss aber in jedem Fall gemacht werden!
Heißt das, wir bekommen mehr Abspaltungen und Untergruppen in Zukunft?
Christian Bauer: Das kann ich nicht sagen. Ich hab keine Kristallkugel, mit der ich in die Zukunft blicken kann.
Was wünschen Sie sich konkret für den synodalen Weg in Deutschland?
Christian Bauer: Papst Franziskus betont das synodale Aufeinander-Hören und Miteinander-Unterscheiden. Nur so können wir tragfähige Entscheidungen treffen. Aber ich wünsche mir auch den Mut, notfalls nicht alle mitzunehmen – etwas, das es in der Christentumsgeschichte auch immer wieder gab. Hoffentlich sind das nur wenige, aber wenn wir diesen Schritt Richtung Kirche 4.0 nicht gehen, verlieren wir am Ende noch viel mehr Menschen.