Kirchenvorstandsmitglied Julian Zöller (l.), Pfarrer Ralf Kröger
Ohne digitale Kirche geht in der Martin-Luther-Gemeinde gar nichts mehr. Die 600 km zwischen Lampertheim und Berlin - selbstverständlich in Millisekunden via Zoom überbrückt. Das Gespräch selbst dauert etwa eine Stunde, die Laune ist gut, mit dabei sind der Pfarrer der Gemeinde und ein Mitglied des Kirchenvorstandes.
Es sind Pfarrer Ralf Kröger und Kirchenvorstandsmitglied Julian Zöller. Vor allem Julian Zöller wäre ohne die digitale Kirche wohl kaum da. Er selbst hatte erst durch die Coronazeit und das Onlineangebot der Martin-Luther-Gemeinde in die Kirche seiner Jugend zurückgefunden. Dazu passt auch unser Gesprächsthema: Die Ideen und Konzepte der Martin-Luther-Gemeinde für die Gemeindedigitalisierung. Und da haben Pfarrer Kröger, Ehrenamtlicher Zöller und die anderen Mitarbeitenden viele visionäre Ideen und Ansätze, die für andere inspirierend sein können. Kleine Kostprobe gefällig? Professionelle Kamera und Aufnahmetechnik für Online-Gottesdienste, jeglicher Gottesdienst ist über Zoom, Youtube oder in Präsenz besuchbar, Greenscreen-Einsatz und noch vieles mehr.
Gegründet wurde die Gemeinde 1971 im hessischen Lampertheim, heute hat sie ungefähr zweieinhalb tausend Mitglieder und eineinhalb Pfarrstellen.
Seit Juni 2021 ist in Lampertheim auch ChurchDesk im Einsatz. Die Einführung ist ein wichtiger Teil der Gesamtstrategie der Gemeinde. Durch ChurchDesk gibt es nun eine gemeinsame und übersichtliche Verwaltungssoftware. Dazu soll auch das Gemeindehaus noch weiter digitalisiert werden, um so nicht nur Gottesdienste, sondern auch Konfirmandentage, Gemeinderatssitzungen, etc. hybrid anbieten zu können. Digitalisierung kommt eben auch von einem bestimmten Leidensdruck, sagt Ralf Kröger: Kirchenaustritte, abnehmendes Engagement und immer weniger junge Menschen.
Deswegen will die Gemeinde neue Strukturen aufbauen: Von einer Komm-Struktur zu einer Geh-Struktur hin, um die Menschen dort zu erreichen, wo sie sind - nämlich an ihren mobilen Endgeräten. “Dabei ist ChurchDesk ideal”, ergänzt er. Das soll die Plattform werden, über die alle ganz leicht kommunizieren, Infos verteilen, aber auch Bindung schaffen.
Zur Einführung von ChurchDesk schrieb er einen lohnenswerten Text im Gemeindebrief, den Sie ganz unten im Artikel finden können. Darin heißt es, dass die Gemeinde nun auch online lebe. Auch online, also vor Ort und im Netz - um noch mehr Menschen zu erreichen.
Genau das hat das Gemeindeteam nämlich auch auf seinem Weg zu einer digitalen Kirche erlebt. Durch Corona waren deutlich weniger Menschen in den Gottesdiensten. Aber auf Youtube konnte die Gemeinde ihre Reichweite deutlich ausbauen und ganz neue Gruppen von Menschen ansprechen, die sie auf konventionellem Wege nicht erreicht hätte. Viele von ihnen seien locker mit der Kirche verbunden, würden aber sonntags nicht unbedingt den Frühstückstisch verlassen wollen, um einen Gottesdienst zu besuchen, sagt Julian Zöller.
Mit diesem Erfolg zeigte sich aber auch, dass eine Anpassung an neue Bedürfnisse von Nöten ist, denn ein Online-Gottesdienst, der 60 Minuten lang aus der gleichen Kameraperspektive gestreamt wird, kann ziemlich langweilig werden. Da braucht es Kreativität und eine gute Strategie, Ausstattung und klare Kommunikationswerkzeuge, erzählt Julian Zöller, der selbst in vielen Gruppen aktiv ist.
In Lampertheim gibt es bereits noch mehr Ideen, wie die digitale Zukunft der Kirche weiter ausgebaut werden könnte: Konfi-Apps, iPads für den Unterricht und eine hybride Grundstruktur. Dazu gehört zum Beispiel, in allen Räumen Handy-Ladestationen zu installieren und WLAN einzurichten. Dann sei ein leerer Akku oder kein Geld auf dem Handy kein Grund mehr, ein Protokoll von Hand zu schreiben oder Apps nicht zu nutzen.
Gottesdienste sollen künftig in klar abgetrennten Formen angeboten werden, also komplett online oder komplett vor Ort. Auch will die Gemeinde die digitalen Werkzeuge für die Öffentlichkeitsarbeit von ChurchDesk noch mehr nutzen. In den letzten Wochen wurden die ersten digitalen Formulare zur Taufanmeldung verschickt und auch Newsletter sollen eine größere Rolle spielen, Facebook und der Kalender synchronisiert werden. Mit dem neuen ChurchDesk Studio erhofft sich Kröger, dass noch mehr Arbeit eingespart werden kann: “Meine Fantasie ist es, dass wir mit wenig Aufwand viel erreichen können.”
Offene Fragen gibt es aber auch trotz der erfolgreichen Onlinestrategie, denn die Digitalisierung von Gemeindestrukturen ist auch in Lampertheim nicht die Antwort auf alle Fragen. “Ich glaube nicht, dass die Kirchenaustritte und die abnehmende Relevanz sich maßgeblich verändern werden durch unsere Arbeit. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung, die mit vielen Faktoren zusammenhängt. Aber wir können uns innerhalb unseres Wirkungskreises auszeichnen, um Kontakte und Bindungen zu stärken, vor allem mit denen, die onlineaffin sind”, sagt Pfarrer Kröger.
Dazu braucht es “eine aktualisierte Gesamtkommunikation”, um die Menschen kurzfristig zu erreichen und einzubinden, sagt Julian Zöller. Genau das biete ChurchDesk für ihn.
Für die digitale Kirche hat Zöller die Vision, dass aktive Gemeindemitglieder per App erreichbar sind und eine Stunde vor dem Gottesdienst eine Push-Nachricht mit einer Erinnerung bekommen, in der sie sehen, welche Musikgruppe heute spielt und wer predigt.
Pfarrer Ralf Kröger wünscht sich ChurchDesk für alle. So müsse nicht mehr darüber nachgedacht werden, wo Informationen zu finden sind. Nein, alles Wissen findet sich dann auf einem “Kirchenschreibtisch”. Umso mehr Gemeinden dann die gleiche Software nutzen, desto besser die Kommunikation untereinander.
Ob Pfarrer Kröger live Steaks in der Gemeindeküche brät und dabei etwas erzählt oder jemand von der Kanzel aus predigt - einen wichtigen Aspekt will man in Lampertheim verstanden wissen: Dass Digitalisierung nicht nur Technik bedeutet, sondern eine ganz neue Art der bidirektionalen Kommunikation innerhalb und außerhalb der Gemeinde und ihrer zugehörigen Gruppen und Organisationen antreibt.
Ein Beispiel dafür geben sie selbst mit ihren Sublan-Gottesdiensten. “Wenn ich auf die Kanzel gehe und die Onlineandacht für den Sublan-Gottesdienst halte, habe ich diese oft noch gar nicht ganz ausformuliert. Über das Internet können Menschen dann mitmachen und Ihre Gedanken in die Kommentare schreiben und die werden mir dann von einem Moderator übergeben. So kann ich den Input entsprechend anpassen und darauf eingehen. Wir können so ganz neu auf Ideen und Feedback von außen eingehen.”
Neue Wege gehen, online Menschen ansprechen und bestehende Bindungen stärken: die Martin-Luther-Gemeinde kann man mit Fug und Recht eine digitale Kirche nennen. Und fertig sind Pfarrer Kröger und die Ehrenamtlichen damit noch lange nicht - wenn überhaupt jemals, denn Digitalisierung bleibt nicht stehen.